Piemont Bike and Jeep 1994

Der Weg durch die senkrechte Felswand, mitten durch den gespaltenen Stein, die abenteuerliche Wegeinstandhaltung: Wer einmal durch den Denzel blättert, wird von den Bildern der Auffahrt zum Chaberton wahrscheinlich genau so fasziniert wie ich (für die Nichteingeweihten: Der Denzel ist quasi die Bibel für Alle, die sich auf Rädern, hauptsächlich motorisierten, durch die Alpen bewegen).
So war der Piemont-Trip nur eine Frage der Zeit. Mit ein paar Freunden, die sich solche Höhenunterschiede nur motorisiert zumuten wollen, und Martin, einem Freund aus der Freiburger Mountain Bike Clique, geht es dann mit zwei Geländewagen und Bikes gen Süden, Richtung Piemont.

Impressionen

Egal wie man im Piemont unterwegs ist, es ist landschaftlich sehr reizvoll und immer eine Reise wert. Und doch wird man auf den Wegen auf Schritt und Tritt daran erinnert, daß sie ursprünglich einen ganz anderen, weniger friedlichen Zweck hatten. Alle paar Kilometer erinnern einen die verfallenen Stellungen, Befestigungen und Kasernen an die brutalen Grenzkriege zwischen Italien und Frankreich. Touren. Der gute Zustand hat für die Geländewagen den Vorteil, daß fast alles fahrbar ist, für die Biker den Nachteil, daß es recht wenige Singletrails gibt. Interessant genug ist es trotzdem, die Wege bieten alle erdenklichen Schwierigkeitsgrade, oft genug kann man den Blick gar nicht vom Weg wenden um die Landschaft zu genießen.

Bike und Jeep, eine ungewöhnliche Kombination. Auch wenn wir Biker von manchen selbsternannten „Umweltschützern“ nicht gern gesehen sind, fahren wir doch immerhin lautlos und abgasfrei. Damit können die OffRoader nicht dienen. Im Gegenteil: zu schwer, zu unsicher, zu groß und vor allem: zu durstig. Alles richtig, es gibt ökologischere Verkehrsmittel, um sich von A nach B zu bewegen. Und daß A und B in unserem Fall ausgerechnet in alpinen Regionen liegen muß, macht die Diskussion nicht einfacher. So hatten auch wir ein unangenehmes Erlebnis, als wir auf einem Versorgungsweg in einem (jetzt im Sommer schneefreien) Skigebiet von einem Einheimischen nicht nur beschimpft, sondern auch mit Steinen beworfen wurden. Wieso wir nicht in Deutschland mit den Autos im Gelände fahren, soviel haben wir verstanden. Recht hat er ja, in Deutschland ist das Fahren abseits der Straßen in der Regel verboten, in Italien jedoch prinzipiell erstmal erlaubt. Doch wenn man bedenkt, daß er gerade beim Reparieren des Skiliftes mit seinem eigenen Geländewagen völlig abseits jeder Wege mitten in der empfindlichen Vegetation unterwegs war, kommt einem wie so oft die Frage nach der Verhältnismäßigkeit. Doch er verdient ja sein Geld damit, und so muß der Umweltschutz vor finanziellen Interessen zurückstecken.  Trotzdem fährt auch bei mir immer ein bißchen das schlechte Gewissen mit, denn ich könnte diese Höhen auch umweltfreundlich erreichen, nämlich per Bike. Andere können es nicht, ohne das entsprechende Training bleiben Höhendifferenzen von weit über 2000HM dem Auto vorbehalten. Doch kann man die Natur und das Naturerlebnis denen vorenthalten, die es nicht aus eigener Kraft erleben können? Wie sollen diese den Wert der Natur schätzen lernen? Aus der Konserve? Ein gewisses Maß an Naturnutzung ist nicht nur legitim, sondern auch sinnvoll.

Der Reiz bei Geländewagentouren ist ein ähnlicher, wie er auch beim Biken entsteht. Der Genuß, sich in der Natur zu bewegen, mit offenem Dach Gerüche und Geräusche wahrzunehmen und in sich aufzusaugen, ist bei einer gemütlichen Off-Road-Tour genauso vorhanden, wie bei einer Bike-Tour. Auch wenn man manchmal eine etwas schnellere Gangart anschlägt, in schwerem Gelände merkt man schnell, daß Geschwindigkeit nicht alles ist. Den Adrenalinschub kann man sich genauso auch im Schritttempo holen.  Bestes Beispiel dafür hat uns eine Gruppe von Geländefahrern aus Wien gezeigt, die mit uns auf dem Campingplatz waren. Ihre Schilderungen von der Befahrung des Chaberton konnten wir nicht glauben, als wir die abenteuerliche Trassenreparatur am Gespaltenen Fels mit eigenen Augen sahen. Der Nervenkitzel in der senkrechten Felswand war mit den Bikes schon groß genug, mit dem Auto grenzt die Befahrung an Lebensmüdigkeit. Wir hätten  nicht gedacht, daß jemand das Risiko eingeht. Und doch zeigten vereinzelte Autospuren oberhalb des gespaltenen Felses und die detailreichen Erzählungen der Wiener von der Um- und Überfahrung einzelner Stellen, daß sie wirklich mit den Autos auf dem Chaberton waren. Wenn das nicht genügend Adrenalin war, was dann? 

Tagebuch

1994-07-24, Anfahrt:
Hole Martin in Freiburg ab, treffen uns mit den anderen an der Raststätte Freiburg. Dank CB-Funk merken wir dann auch, daß wir an zwei verschiedenen Raststätten warten (Freiburg hat 2!). So geht es verspätet los, nach ewig langer Anfahrt über diverse Alpenpässe kommen wir endlich in Oulx an. Es reicht gerade noch zum Aufstellen der Zelte und zum Essen in der Pizzeria des Campingplatzes.

1994-07-25, MTB-Tour Punta Colomion:
Als Auftakt planen wir eine Tour durchs Tal der Bardonecchia auf die Punta della Mulattiera. Wegen Gewitter fahren wir jedoch an der Punta Colomion Richtung Bardonecchia ab, liefern uns auf den endlosen Kehren zum Fort Bramafam ein Rennen mit Moto-Crossern. Über Beaulard und das gleichnamige Chateau geht es wieder zurück nach Oulx.

1994-07-26, 4×4-Tour Monte Jafferau:
Mit einer Gruppe Geländewagenfahrer aus Wien machen wir uns auf zum Monte Jafferau. Mit einigen Irrwegen und Besuchen der Galleria dei Saraceni und des Fort Pramand gelangen wir auf den Monte Jafferau.

1994-07-27, MTB-Tour Mont Chaberton:
Früh aufstehen ist angesagt, wenn wir die über 2000HM auf den Gipfel schaffen wollen. Bis Fenils fahren wir auf der Straße, dann auf einem anspruchsvollen Forstweg gen Gipfel. Am  gespaltenen Fels können wir nicht glauben, daß die Wiener mit den Suzuki-Geländewagen hier vorbeigekommen sind, doch die mündlichen Beschreibungen von als Rampe aufgeschichteten Steinen und Reifenspuren überzeugen uns. Martin ist nach über 1500HM ziemlich am Ende und entscheidet sich kurz nach der französischen Grenze, hier auf mich zu warten. So fahre ich allein auf den Gipfel, hier geht es zu wie auf dem Jahrmarkt, viele Leute sind von der französischen Seite aus zu Fuß aufgestiegen. Auf dem Rückweg sammle ich Martin wieder auf, und gemeinsam fahren wir die gleiche Strecke wieder zurück.

1994-07-28, 4×4-Tour Fort de la Valle:
Auf der Straße geht es bis nach Fenestrelle, dort schauen wir uns das Fort della Valle mit dem unterirdischen Verbindungsgang zum Forte S. Carlo an. Über den Colle le Basset und Sauze d’Oulx geht es wieder heim.

1994-07-29, MTB-Tour Assietta Kammstraße:
Die gleiche Strecke über Sauze d’Oulx fahren wir auch heute, nur in entgegengesetzter Richtung und mit dem Bike. Auf der weitgehend geschotterten Assietta-Kammstraße fahren wir mit tollen Ausblicken ins Tal der Dora Riparia (links) und ins Tal der Chisone (rechts) über die Testa dell’Assietta bis kurz nach der Punta del Gran Serin. Die Abfahrt über die Alpe d’Arguel nach Champlas bringt uns ins Tal der Dora Riparia, dort geht es auf der Straße und Nebenstrecken zurück nach Oulx.

1994-07-30, 4×4-Tour Colle Sommeiller:
Auf dem Campingplatz wird von einem Geländewagen-Treffen auf dem Colle Sommeiller erzählt. So machen wir uns mit den Wienern bei diesigem, regnerischem Wetter auf. Doch die Information war wohl eine Ente, oder unsere geringen Italienisch-Kenntnisse haben uns einen Streich gespielt. Auf jeden Fall genießen wir die Landschaft, aber zum lange draußen bleiben ist es zu kalt und regnerisch.

1994-07-31, Rückfahrt:
Essen im Waschraum des Campingplatzes. Es regnet in Strömen. So schauen wir, daß wir die Autos packen und loskommen. Auf dem Rückweg ohne größere Umwege, so sind wir einigermaßen zeitig wieder daheim.

Hot Spots

Schotterwege statt Singletrails. Für die Geländewagen nötig, aber auch mit den Bikes waren wir hauptsächlich auf den breiten Wegen unterwegs. Trotzdem bietet das Piemont auch für Biker anspruchsvolles Terrain. Vor allem aber ist es landschaftlich ein Genuß.
Der Weg auf den Chaberton ist zwar im unteren Teil fast drei Meter breit, aber derart steil und ausgewaschen, daß wir mit den Bikes massive Schwierigkeiten haben. Auf gut deutsch: Ein klasse Weg. Im oberen Teil ist erkennbar, daß der Weg hier ursprünglich auch zweispurig ausgebaut war, aber mehr und mehr zu einem Singletrack verfällt. Ursprünglich als Nachschubweg für die Befestigungsanlagen angelegt, dient er uns jetzt friedlicheren Zwecken. Doch beim Anblick der verfallenen Kasernenanlagen und der Geschütztürme auf dem 3130m hohen Gipfel schüttelt es mich beim Gedanken an vergangene Zeiten. Beim Downhill verschwinden die düsteren Gedanken schnell wieder und Konzentration ist angesagt, um nicht in den engen Kehren kurz unterhalb des Gipfels abzufliegen. Auch wenn der Weg viel zu schnell wieder zweispurig wird, enspruchsvoll bleibt er bis ins Tal.
Es müssen nicht immer Singletrails sein.

Infos

Karte:
IGC (Instituto Geografico Centrale, Turin), Blatt 1 Valle di Susa, Chisone, Germanasca, 1:50000.

Weitere Infos:
Bike 1-2/93

Alpencross 1994 ala Heckmair

Einmal über die Alpen! Schon für Hannibal vor über 2000 Jahren erklärtes Ziel. Auch wir haben uns dieses Ziel gesteckt, statt den Elefanten satteln wir aber lieber unsere Mountain Bikes. Sechs Tage für die Strecke von Oberstdorf bis an den Gardasee! Jeder von uns sieben hat seine eigenen Erwartungen an diese Tour, an sich selbst, an den Rest der Truppe. Daß eine solche Tour kein Zuckerschlecken wird, ist allen klar. Doch damit, daß wir sieben nicht gemeinsam am Gardasee ankommen, sondern über die Hälfte zwischendurch aussteigt, hat wohl keiner gerechnet…

Impressionen

Samstag abend, kurz nach 8:00. Roli steht bei mir in der Werkstatt, den nagelneuen Bianchi-Rahmen am Reparaturständer, nackt bis auf den Steuersatz. In zwei Bananenkisten ein Sammelsurium an Teilen: Schaltwerk, Kurbeln und Pedale, Bremsen, …, daneben Felgen und Reifen, ein gestrippter Flite ohne Satteldecke und diverses Kleinzeug. Das ganze sieht nach ziemlich viel Arbeit aus.  Und trotzdem: Morgen früh soll es losgehen, um kurz nach 6:00 fährt der Zug Richtung Oberstdorf, unser Abenteuer Alpencross soll beginnen.  Doch für Roli wird die Nacht schon spannend. Während ich noch die letzten Sachen im Rucksack verstaue, zum 1000sten mal dran denke, daß ich garantiert was vergessen habe, und gleichzeitig zum 1001sten Mal überlege, ob ich den Rucksack nicht doch noch leichter bekommen kann, fängt Roli an, sein Rad aufzubauen. Den neuen Rahmen hat er nach einer längeren Garantieabwicklung heute erst vom Händler bekommen, nachdem sein alter mit Rissen am Unterrohr zu den Akten mußte. Gegen 24:00Uhr lege ich mich ins Bett, um am nächsten Morgen nicht völlig tot zu sein. Roli fängt gerade an, die Bremsen einzustellen. Die Bananenkisten haben sich zwar etwas geleert, ich könnte aber nicht sagen, ob jetzt mehr Kohle am Rahmen hängt, oder noch in den Kisten lagert. 5:00Uhr, der Wecker klingelt. Schlaftrunken steige ich in die Radklamotten und sehe als erstes nach, ob Roli über der Arbeit eingeschlafen ist. Doch die Werkstatt ist leer, sogar aufgeräumt. 5:30Uhr, ich stehe vor Rolis Haustür. Sein Bianchi wartet schon vor der Tür. Fertig! Sogar den Sattel hat er noch neu beziehen können. Grinsend steht Roli in der Tür. Eine Stunde Schlaf hat er gerade hinter sich, bis kurz nach vier war er in der Werkstatt beschäftigt. Doch das Rad ist fertig und hat sogar schon ganze 500m Probefahrt hinter sich. Ächzend nehmen wir die knapp 8kg schweren Rücksäcke auf den Rücken und fragen uns, ob wir uns in den nächsten paar Tagen daran gewöhnen können. Dann geht es los Richtung Bahnhof. Die gleiche Strecke sind wir schon x-mal zur Uni gefahren, doch mit gepacktem Rucksack und dem Ziel Gardasee vor Augen beginnt jetzt schon der Urlaub. Morgens um 6:00 ist noch nichts los in Stuttgart, in einem Affentempo geht es durch die menschenleere Königsstraße, die Rolltreppen in die Klett-Passage runter, gegenüber die Treppen hoch. Der Großteil unserer 7-köpfigen Truppe wartet schon am Bahnsteig, 5 Minuten bevor der Zug abfährt sind wir dann endlich komplett. Noch knapp drei Stunden Bahnfahrt, dann geht das Abenteuer Alpencross richtig los!

Zu einer Alpenüberquerung gehören zwei Dinge dazu wie das Abwaschen und Abtrocknen zum Essen: Asphaltetappen und Tragepassagen. So vergeht auch auf unserer Route fast kein Tag ohne eine ausgiebige Pause für das Rad, entweder auf befestigten Wegen oder noch besser (für das Rad), auf unserem Rücken. Am ersten Tag ist es der Schrofenpaß, der uns einen kleinen Vorgeschmack auf das gibt, was uns in den kommenden Tagen erwartet. Den größten Teil der Höhenmeter legen wir auf Asphalt zurück, kurz nach Ende des Asphalts wird der Weg zum Trail, und bald schon endet der fahrbare Teil des Schrofenpasses.  Teilweise läßt sich das Bike noch schieben, doch oft ist das Schultern die einfachere Methode, durch das Geröllfeld zu kommen. Ich bin heilfroh, daß meinem Gewichtsspardrang nicht die Trekking-Sandalen zum Opfer gefallen sind, die Radschuhe mit den Stahlplatten in der Sohle sind das denkbar ungeeignetste Schuhwerk für eine solche Kletterei, übertroffen vielleicht nur noch von Stöckelschuhen.  Auch bei der Leiter, die horizontal über einen Abbruch führt, bin ich froh, vor der Kletterei die Schuhe gewechselt zu haben. Das Bike am ausgestreckten Arm, frei über dem Abgrund baumelnd, ertasten wir uns Sprosse für Sprosse den Weg. Danach folgt noch eine kurze Strecke Weg in der senkrechten Wand, dann sind wir oben auf dem Schrofenpaß. Zwar glücklich, den ersten Paß hinter uns zu haben, doch etwas enttäuscht von dem geringen fahrtechnisch interessanten Anteil. Gleiches müssen wir dann auch auf der Abfahrt erfahren: die ersten Höhenmeter sind sehr schwer, großteils nicht fahrbar. Für eine kurze Strecke wird der Weg besser, dann geht aus auf einen breiten Schotterweg, auf dem wir ohne technischen Anspruch die Höhenmeter vernichten. So hatte ich mir den Auftakt zu unserer Alpenüberquerung nicht vorgestellt!  Auch am zweiten Tag sieht die Auffahrt ähnlich aus. Lange Aspahltstrecken von Schruns bis Gargellen, dann einige Kilometer auf Schotter, die restlichen 400HM zum Schlappiner Joch mit dem Bike huckepack. Flugs wird der Paß in Schleppiner Joch umgetauft, dies trifft den Kern der Sache besser.  Doch im Gegensatz zum Schrofenpaß am ersten Tag entschädigt hier die Abfahrt: Ein schmaler, stark ausgewaschener Pfad führt mal in engen Kehren, mal in weiten Schwüngen bergab. Der Weg ist meist so schmal und tief, daß an ein Mittreten gar nicht zu denken ist. Doch auch ohne zusätzlichen Vortrieb genießen wir die Abfahrt, zu schnell ist der Rausch vorbei, wir sind in Schlappin angelangt. Schade, daß es bergab so viel schneller geht, als bergauf! Am dritten Tag wollen wir über den Scalettapaß, doch bis zum Dürrboden haben wir größtenteils Asphalt unter den Stollen. Doch ab da wird es interessant: Der Weg führt durch ein Geröllfeld bis zum Paß, extrem steil, aber durch die flachen Steinplatten sehr griffig. Roli, Jochen und mich packt der Ehrgeiz: Wir wollen unbedingt fahren, bis es nicht mehr weitergeht. Der Puls steigt und steigt, das Blut pocht in den Schläfen. Doch auch hier schaffen wir es nicht, bis oben auf dem Bike zu bleiben. Am Scalettapaß zwingen uns aber andere Gründe zum Schieben: Es liegt noch Schnee! Zum Glück sind es nicht mehr arg viele Höhenmeter, doch für nasse Füße reicht es.  Die kriegen wir auch auf der Abfahrt, hier kämpfen wir mehr mit dem Schmelzwasser, das in Mengen auf dem schmalen Pfad bergab schießt, als mit fahrtechnischen Schwierigkeiten. Dies bleibt auch so, als der Pfad nach kurzer Zeit in einen breiten Schotterweg übergeht, auf dem wir die restlichen Höhenmeter vernichten.  Am Abend des dritten Tages entscheiden sich Gori, Werner, Dieter und Marius für die Rückreise, so sind wir am Morgen des vierten Tages nur noch zu dritt. Für Roli, Jochen und mich ist zuerst wieder das Höhenmetersammeln angesagt, zuerst noch auf Schotter, die letzte Dreiviertelstunde wieder mit dem Bike auf dem Rücken. Roli und Jochen hängen mich zu Fuß völlig ab, durch eine von Roli’s Zeichnungen mit einem „Go, Go“ in einem Schneerest motiviert stehen wir bald zu dritt auf dem Chaschauna-Paß. Diese Tragestrecke wird für die nächsten Tage die letzte sein, erst am letzten Tag erwischt es uns nochmal. Dafür warten auf uns noch längere Straßenetappen. Doch zuerst geht es direkt von Livigno auf einem Single-Track bergan. Fahrtechnisch teilweise etwas anspruchsvoller, aber ohne größere Schwierigkeiten, steigen wir in landschaftlich reizvoller Kulisse auf den Passo di Valle Alpisella. Die Abfahrt verläuft zwar auf einem breiten Schotterweg, doch die vielen Kehren bis zum Lago di San Giacomo und vor allem die Wettfahrt mit zwei Enduros auf den Kehren danach machen viel Spaß.  Auf der Original Heckmair-Route, der wir bis jetzt gefolgt sind, würde uns nach dem auch für den Straßenverkehr zugelassenen Gaviapaß (Asphalt und Schotter) eine mehrstündige Tragepassage zum Lago di Campo erwarten. So haben wir uns entschlossen, dem Rat von Freunden zu folgen und eine Alternative zu suchen.  Dies heißt erstmal gen Westen und dann ins Val di Verva. Laut Kompaß Karte im oberen Teil nur ein schmaler Trail, jedoch liegen die Höhenlinien weit genug auseinander, daß bei einigermaßen ordentlichen Untergrund das Fahren noch möglich sein müßte. Mit der „Autobahn“, die bis nach oben führt, hat jedoch niemand gerechnet. So wie es aussieht, wurde der Weg in den letzten Jahren repariert und verbreitert. Die Erosion hat jedoch schon wieder ihren Tribut gefordert, so daß die starken Erosionsrinnen uns auch fahrtechnisch einiges abverlangen, trotz der Breite des Weges. Auch bergab werden wir gefordert. Die Kombination aus extrem grobem Schotter und massivem Gefälle zeigt auch den Maguras die Grenze. Alle paar Minuten brauchen wir eine Pause, um die schmerzenden Hände auszuschütteln. Die haben dann auf den folgenden Kilometern genügend Zeit, sich wieder zu regenerieren. Die einzige Möglichkeit, vom Val di Verva nach Edolo zu kommen, geht über den Passo della Foppa. Bei glühender Hitze geht es bergan. „Forza,forza“ klingt es auf einmal in meinen Ohren, stürmischer Applaus treibt mich nach oben. Leider nur in meiner Einbildung, denn die Anfeuerungsrufe und Schriftzüge auf der Straße galten den Giro-Teilnehmern vor wenigen Wochen. Pausenlos versuche ich mir einzureden, daß der Geschwindigkeitsunterschied zu den Rennrad-Profis nur durch den Rucksack und die Stollenreifen kommt. Aber so ganz kann ich mich nicht überzeugen. Am folgenden Tag kommen Erinnerungen hoch, den Passo Croce Domini kenne noch von einem Urlaub mit dem Geländewagen. Die Steigung hat sich nicht geändert, doch zum Glück stimmt heute das Wetter.  Nach der Passhöhe geht es noch ein Stück auf Asphalt bergab, dann ist wieder Höhenmetersammeln angesagt. In einer Mischung aus Singletrack und anspruchsvollen Doubles geht es bergan, bis wir durch ein Felsentor im Valle Sorino ankommen. In diesem weiten Hochtal bleiben wir für die nächsten Kilometer. Der Weg ist zwar zweispurig, doch die vielen Löcher und Steine erfordern volle Aufmerksamkeit. Vor allem durch die Tatsache, daß alle Hindernisse hoch mit Gras überwachsen und somit völlig unsichtbar sind. So heißt es, Kilometer um Kilometer im Stehen zurückzulegen. Auf solchen Strecken wünschen wir uns ein Fully! In einer Pause haben wir mal Zeit, die Augen vom Weg abzuwenden und können im Dunst schon unser Ziel des nächsten Tages erkennen, den Tremalzo. Das Ziel liegt fast schon in greifbarer Nähe! Der Tag endet wieder wie viele zuvor, endlose Kehren auf Asphalt geben unseren geschundenen Knochen Zeit zum Ausruhen. Am letzten Tag steht noch ein Anstieg auf dem Programm, der Tremalzopaß. Gerade hier haben wir keine Tragepassage mehr erwartet. Doch es erwischt uns noch mal ziemlich heftig. Einige Kilometern nach dem Forte Ampola biegen wir um eine Kurve und stehen zwischen Baumaschinen. Ab hier ist der Weg komplett neu und förmlich in den Wald gefräst. Doch eine Kurve weiter ist Schluß. Wir stehen vor einer senkrechten, anderthalb Meter hohen Wand und sehen noch den alten Weg, der oben weiterführt. Doch für uns ist hier kein Weiterkommen, nach Auskunft der Bauarbeiter geht es auch weiter oben nicht mehr weiter. So rollen wir hundert Meter zurück und folgen zu Fuß einem zugewachsenen Wanderweg, der steil bergauf führt. Die dichten Brennesseln am Wegesrand zwingen uns schnell in die Regenklamotten. Im dichten Unterholz ist der Weg kaum noch auszumachen, nur die verblichenen Wegweiser an den Bäumen helfen uns weiter. Oft geht es zwei Schritte hoch und einen wieder runter, das Rad dient mehr als Gehhilfe und Wanderstock. Nach einer halben Stunde Plackerei haben wir es endlich geschafft, über ein Stück SingleTrail gelangen wir auf einen breiten Schotterweg, der uns bis zum Scheiteltunnel des Tremalzo führt.  Auf der Abfahrt kommt jetzt endlich der Genuß, der bisher oft zu kurz gekommen ist. Bis zum Passo Nota geht es mit High Speed durch die Schotterkehren, dann auf den Singletracks bis nach Pregasina, unser Ziel ist zum Greifen nah. Über dem Monte Brione ziehen schwarze Wolken auf, jetzt heißt es Gasgeben, sonst werden wir nach einer Woche Sonnenschein doch noch naß! Eine Viertelstunde später drehen wir in Riva noch eine Runde über den Campingplatz, auf dem wir uns mit meinem Bruder Frank und seiner Freundin Tanja verabredet haben, dann liegen wir uns vor der Pizzeria in den Armen. Geschafft! 1 Woche harte Arbeit liegt hinter uns, aber auch viel Spaß.  Nicht nur die Höhenmeter haben uns viele Hochs und Tiefs beschert, auch unsere Stimmung hatte diverse Höhen und Tiefen. Und das Wetter-Tief, das bis jetzt noch gefehlt hat, holt uns doch noch ein: Wir haben die Getränke noch nicht bestellt, da geht das Unwetter los. Binnen Sekunden steht das Wasser zentimeter hoch auf der Straße. Egal, wir sitzen im Trockenen, geschafft, aber glücklich.

Ein paar Tage in einer größeren Gruppe unterwegs zu sein heißt auch, sich auf alle möglichen unvorhersehbaren Pannen einzustellen. Bei guter Ausrüstung läßt sich vieles problemlos unterwegs beheben, doch es wird auch deutllich, wie sehr unsere Bikes am Limit gebaut sind und wie abhängig wir von der Technik sind. So geht es uns am zweiten Tag, als Dieter kurz nach der Abfahrt von der Freiburger Hütte einen ganz ordinären Plattfuß hat.  Bis wir Dieter’s Rad (und alle anderen, die als Organspender dienen mußten), wieder flott haben, vergeht weit über eine Stunde. Wir sind heilfroh, daß wir uns am Abend vorher entschieden hatten, schon auf der Freiburger Hütte zu übernachten und nicht noch unser eigentliches Etappenziel in Angriff zu nehmen. Hätten wir das gleiche auf der Abfahrt am Abend vorher gehabt, hätten wir den größten Teil im Dunkeln zurücklegen müssen. Ich glaube nicht, daß wir alle dies heil überstanden hätten. Diese Situation zeigt uns aber auch, wie wichtig es ist, auf einer solchen Tour das Equipment der einzelnen Mitfahrer aufeinander abzustimmen. Eigentlich nicht schlecht ausgestattet, glaubten wir, für alles gewappnet zu sein, doch die Flickaktion lehrt uns was anderes.  Neben dieser zeitintensiven „Lappalie“ und einigen weiteren Plattfuessen haben wir in der Woche noch zwei schwerwiegendere Defekte. Ein defektes Steuerlager kann Roli noch mit Bordmitteln in Gang bringen, (das einzige Bauteil, das er bei seinem nächtlichen Aufbau des Bikes nicht selbst montiert hat, gibt nun als erstes den Geist auf). Doch eine verbogene Felge macht größere Probleme. Bei einem Spurwechsel über den grasbewachsenen Mittelstreifen erwische ich einen versteckten Steinbrocken, ein heftiger Schlag, ein lautes Zischen und wenig später kann ich die Bescherung begutachten. Einen Snakebite habe ich erwartet, nicht jedoch, daß sich die Vorderradfelge gleich mit verabschiedet hat. Eine Delle von mehreren Zentimetern Länge ziert die Bremsflanke. Und das kurz vor S-Chanf, dem Tagesziel! Schnell einen neuen Schlauch montiert, den Hydraulikzylinder der Magura abgebaut, und dann geht es nur mit der Hinterradbremse den anderen hinterher. Nun ist guter Rat teuer, denn der nächste Bike-Shop ist weit. Doch Hilfe für mich kommt von Marius. Da er sich mit Dieter und Gori (und am nächsten Morgen auch ihr Freund Werner) zur Heimreise entschlossen hat, bietet er mir sein Vorderrad an. Dankbar, ohne großen Zeitverlust die Tour fortsetzen zu können, nehme ich sein Angebot an. So wird abends zuerst mal wieder geschraubt, Marius‘ Vorderrad kommt an mein Serotta, meine Felge wird notdürftig ausgebeult und muß für Marius‘ Heimreise reichen.

Einmal mit dem Bike über die Alpen. Diese Idee übt einen großen Reiz auf viele Biker aus. An der (fahrtechnischen) Qualität der Trails kann es nicht alleine liegen, denn der Grat zwischen Kilometerschinden auf Asphalt und Höhenmetersammeln mit dem Bike auf dem Rücken ist oft schmal, teilweise gar nicht vorhanden. Aber genau zwischen diesen beiden Extremen finden sich normalerweise die schönsten Bike-Strecken: schmale, kurvige Singletrails, steil berghoch, steil bergab, über Stufen, um Bäume. Und gerade diese Streckenabschnitte sind auf Alpenüberquerungen zwar vorhanden, aber kurz und viel zu schnell zu Ende. Der Reiz einer Alpenquerung liegt in anderen Dingen:  Die Schönheit der Landschaft, die einen umgibt.  Die Gewaltigkeit der Berge, in denen man sich bewegt.  Die Einsamkeit und Stille oben auf einer Paßhöhe, die man aus eigener Kraft bezwungen hat.  Der Kampf mit dem inneren Schweinehund, und die Freude, ihn überwunden zu haben. Die völlige Erschöpfung nach einem 1000HM Anstieg. Das Gruppenerlebnis, sich gemeinsam einer Herausforderung zu stellen. Das Gefühl von Freiheit, Weg und Zeit selbst zu bestimmen.  Die Vorfreude und Erwartung auf das, was der Tag noch bringt.  Und nicht zuletzt die Bewunderung anderer, wenn man erzählt: „Ich bin mit dem Bike über die Alpen gefahren.“ All dies macht aus einem Alpencross eine Erfahrung und ein Erlebnis, an das man sich noch lange erinnern wird.

Fotos

Hot Spots

Bei einer Tour wie unserer Alpenüberquerung fällt es schwer, eine Empfehlung für die besten Spots zu geben. Jeder tolle Singletrail muß mehr oder weniger hart mit Tragepassagen oder längeren Straßenabschnitten erkauft werden. So gilt es zu rechnen: 1 Stunde Tragen für 15 Minuten Singletrail-Fun. Wenn das in Ordnung ist, sind das die Top Four:

Abfahrt vom Schlappiner Joch Ganz klar eines der Highlights, Singletrackspaß in genialer Landschaft. Ob die anderthalb Stunden Tragen auf das Schlappiner Joch dies wert sind, muß jeder selbst entscheiden. Es gibt sicherlich weniger anstrengende Methoden, eine knappe halbe Stunde Singletrack zu fahren. Aber das Gefühl, sich dies hart erkämpft zu haben, ist schon toll.

Scalettapaß ab Dürrboden Wem es Spaß macht, die Grenzen seiner Steigfähigkeit auszuloten, ist am Scalettapaß richtig. Steil und technisch anspruchsvoll, gilt es, die beste Spur zu finden. Bei uns lag im oberen Teil noch Schnee, ich würde trotzdem gerne nochmal ausprobieren, ob der Scaletta bis oben fahrbar ist.

Ab Livignio auf den Passo di Valle Alpisella Fahrtechnisch lange nicht so anspruchsvoll, dafür landschaftlich besonders reizvoll ist der Singletrack auf den Passo di Valle Alpisella. Im unteren Teil Ausblicke auf den Lago di Livignio, weiter oben quert man auf einer urigen Holzbrücke das enger werdende Tal. Ab hier wird der Weg etwas technischer, doch ohne Tragepassage erreicht man die Paßhöhe.

Tremalzo Zur Abfahrt vom Tremalzo braucht man nicht mehr viele Worte zu verlieren. Wir haben die Route über den Passo Nota nach Pregasina gewählt, die landschaftlich und fahrtechnisch äußerst abwechslungsreich ist. Schnelle Schotter Downhills, technische Singletrails, diese Abfahrt bietet alles. Top!

Infos

Route Auf unseren Alpenüberquerung folgen wir teilweise einer Route, die in Mountain-Bike-Kreisen ebenso berühmt ist, wie einst die Route von Hannibal unter den Historikern: Die Heckmair-Route. Vorbild für viele verschiedenen Touren über die Alpen. Auch wir haben diese Route als Basis unserer Planung genutzt, weichen aber nach den ersten vier Tagen davon ab, weil wir uns den Gaviapaß und eine mehrstündige Tragepassage am Lago di Campo sparen wollen. Alternativen von Bormio aus sind rar, so umgehen wir zwar die Tragepassage, haben dafür jedoch relativ viel Asphalt zu bewältigen. Auch nicht das, was wir uns gewünscht haben, doch landschaftlich interessant und deswegen besser als einige Stunden Schinderei mit dem Rad auf dem Buckel.

Day 1: Oberstdorf – Faistenoy – Schrofenpaß – Warth – Lech – Formarinsee – Freiburger Hütte (1465HM, 60km)

Day 2: Freiburger Hütte – Dalaas – Kristbergsattel – Bartholomäberg – Schruns – St. Gallenkirch – Gargellen – Schlappiner Joch – Schlappin (2026HM, 55km)

Day 3: Schlappin – Klosters – Davos-Dorf – Dürrboden – Scalettapaß – S-chanf (1592HM, 56km)

Day 4: S-chanf – Pass Chaschauna – Livignio – Passo di Valle Alpisella – Lago di San Giacomo – Bormio (1503HM, 66km)

Day 5: Bormio – Valdidentro – Val Verva – Passo di Verva – Grosio – Mazzo – Passo della Foppa – Monno – Edolo – Sonico – Zazza – Cedegolo (2668HM, 105,5km)

Day 6: Cedegolo – Badetto – Niardo – Breno – Passo Croce Domini – Albergo Blumone – Passo di Brealone – Storo (2588HM, 89km)

Day 7: Storo – Forte Ampola – Valle di Lorina – Tremalzopaß – Pregasina – Riva (1873HM, 54,5km)

Summe: 13715HM, 486km (Höhenmeter summiert aufgrund Kartenangaben)

Höhenprofil

Höhenprofil
Höhenprofil Alpencross 1994

Kartenmaterial

Kompass Nr. 3 Allgäuer Alpen, Kleinwalsertal (1:50.000)

Kompass Nr. 32 Bludenz, Schruns, Klostertal (1:50.000)

Kompass Nr. 41 Silvreta, Verwallgruppe (1:50.000)

Landeskarte der Schweiz Nr. 248 Prättigau (1:50.000)

Landeskarte der Schweiz Nr. 258 Bergün (1:50.000)

Landeskarte der Schweiz Nr. 259 Ofenpass (1:50.000)

Kompass Nr. 96 Bormio, Livignio (1:50.000)

Kompass Nr. 94 Edolo, Aprica (1:50.000)

Kompass Nr. 103 Le Tre Valli, Bresciane (1:50.000)

Kompass Nr. 071 Alpi di Ledro, Valli Giudicarie (1:50.000)

Rücktransport Der Rücktransport gestaltete sich aus Italien etwas schwierig, da die Räder nicht per Bahn über die Grenze zu bringen waren. Wir haben meinen Bruder mit Freundin gewinnen können, ein kurzes Wochenende am Gardasee mit unserer Abholung zu verbinden. War natürlich äußerst komfortabel, und durch unsere etwas zusammengeschmolzene Gruppe auch mit einem Auto zu schaffen. Dank noch mal an Tanja und Frank!!!