EIN RECHTSCHREIBFEHLER! Da ist sie schon wieder, die ungeliebte rote Linie unter dem zuletzt getippten Wort. ‚lastig‘ kennt die Rechtschreibkorrektur nicht, und schlägt ‚lästig‘ vor. Passt zwar auch irgendwie, aber können Fahrräder lästig sein? Und nachdem im Kontext ‚lastig‘ irgendwie besser passt: Ignorieren.
Aber von vorne:
Corona und das gute Wetter haben letztes Jahr dazu geführt, dass wir einen Großteil aller Einkäufe und Besorgungen per Rad erledigt haben. Mit Packtaschen und Hänger lassen sich erstaunliche Mengen transportieren. Im Herbst und Winter habe ich mir aber das ein oder andere Mal etwas elektrische Unterstützung gewünscht, um nach 100HM nicht nass und durchgeschwitzt auf dem Markt zu stehen und zu frieren, wie die sonnengewöhnten Südfrüchte am Obststand.
Jetzt kommt ja erstmal die warme Jahreszeit, also eilt es noch nicht. Ich schaue mich trotzdem schon mal langsam um, was der Markt so bietet. Und der spiegelt den Andrang im Wald und in der Stadt: Die Lager sind leer, Wege und Straßen sind voll. Klasse, dass so viele Menschen das Radfahren entdecken oder wieder entdecken. Toll für Gesundheit und Psyche, für Umwelt und Klima.
Nicht so toll, wenn man auf der Suche ist und (zugegebenermaßen) nicht so einfach zufrieden zu stellen. Wenn es funktional und bezahlbar sein soll, aber trotzdem nicht 0815. Und wenn man sich noch nicht mal sicher ist, ob man einen Tourer, Urban- oder Citybike will, oder vielleicht doch ein Lastenrad? Am besten von jedem Eines. Nur das letzte bisschen Vernunft und der begrenzte Platz im Keller verhindern, dass der Fuhrpark zur Last wird, also quasi ‚lastig‘ (und für das Umfeld damit dann auch lästig). Räder im Keller, in der Fahrradhütte. An der Wand, der Decke, dem Boden. Ersatzteile für Räder der letzten 3 Dekaden in sämtlichen Schränken. So langsam wird es eng. Aber egal, eines geht schon noch.
Aber erstmal: Entscheidungsfindung durch Selbsterfahrung. Aus der Theorie und Testberichten in die Praxis. Kurze Probefahren gehen zum Glück trotz Corona, wenn denn das gewünschte Rad in passender Größe beim lokalen Händler auch verfügbar ist.
Und so starte ich mit …
- dem Tourer.
Starker Motor, bullige Optik mit vollintegriertem Akku (dementsprechend mit etwas Übergewicht), Vollausstattung, komfortabel mit einem Schuss Sportlichkeit. Mit Packtaschen und Hänger das elektrifizierte Pendant zu meinem Bio-Bike. Vernünftig betrachtet das, was ich brauche, das Allround – Doitall – EverybodiesDarling-Bike. Aber irgendwie fehlt mir die Emotion, das besondere. Das gäbe es zwar auch als Tourer, aber nicht in der Preisklasse, die mir vorschwebt.
Und weil es gerade nebendran steht, als nächstes …
- ein kompaktes Longtail.
Langer, rahmenfester Gepäckträger (macht den Hänger in den meisten Fällen obsolet). 20″ Ballonreifen, sparsamer Mittelmotor. Trotz der kleinen Räder erstaunlich gut zu fahren, wendig, relaxed (kann man durchaus auch als unaufgeregt unsportlich übersetzen, was hervorragend zum Charakter und Einsatzzweck in der Stadt passt). Als Lastenrad ist es auch ein gewisses Statement zu einer modernen, reflektierten urbanen Mobilität. Aber irgendwie ist es mir zu praktisch, zu bequem. Zu … vernünftig?
Als nächstes: Der Gegenentwurf zu den beiden…
- das Urban Bike mit Heckmotor.
Schlankes Unterrohr, integrierter kleiner Akku. Gepäckträger? Vorhanden. Sportliche Geometrie. Das ganze ist kaum als E-Bike erkennbar, weder optisch noch akustisch. Und es ist schnell. Sehr schnell. Langsam fahren? Geht zwar, aber Geometrie, Antrieb und Optik animieren permanent zu Geschwindigkeiten oberhalb der Abschaltschwelle. Im ersten Gang am Berg merkt man aber auch, dass der Motor deutlich weniger Drehmoment hat, als die großen MTB-Mittelmotoren der Wettbewerber, und dass diese bei untersetzten ersten Gängen auch noch verstärkt werden. In den hohen Gängen wird das zum Vorteil des Heckmotors. In Summe: Das Rad macht Spaß, viel zu viel Spaß. Aber nicht das, was ich brauche.
Ratlosigkeit. Radlosigkeit aber ist keine Option, also geht die Recherche weiter. Die Erfahrungen der Probefahrten haben mir etwas mehr Klarheit gebracht: Sportlich komfortabel und schnell soll es sein, ordentlich lastengeeignet, und besonders. So tauche ich Donnerstag Abend ein in die geballte Informationsflut aus gedrucktem und digitalem und komme an beim…
- Lastenrad aus der Messenger-Szene.
Feste Ladefläche vorne über dem Vorderrad. 150kg maximales Gesamtgewicht, bei nur 28kg Eigengewicht (soviel, wie der zuerst gefahrene Tourer). Sportliche Sitzposition, starker Motor. 2″ breite Reifen auf 20″/28″-Felgen. Stahlrahmen. Die kurze Version mit nur 2m kaum länger als ein normales Rad, die Langversion braucht nochmal 20cm mehr Platz. Und noch ein Pluspunkt (aus demnächst akutem Anlass): Es gibt einen rückwärts gerichteten Enkelsitz für die Ladefläche, der sogar das Füttern während der Fahrt erlauben würde 😉
Die Probefahrt gestaltet sich etwas schwierig, die wenigen Händler in Deutschland sind a) nicht vor Ort und b) ziemlich ausverkauft. Aber auf meine Mail-Anfrage am späten Donnerstag Abend kommt am nächsten Morgen um 9:00 ein Anruf aus der Schweinfurter Ecke: Probefahrt mit der Langversion ist möglich, die Kurzversion ist verkauft aber noch zum Anschauen da.
So sitze ich nachmittags bei seven8three auf einer sehr modernen und schnellen Interpretation eines Bakery-Rades mit fester Ladefläche über dem Vorderrad, dem E-Cargo WiFi der dänischen Firma Omnium.
Omnium E-Cargo WiFiDas Fahrgefühl? Klasse. Das weit vorne liegende Vorderrad ist ungewohnt, aber gut kontrollierbar, der Motor hat (hörbar) Power, schaltet bei 25km/h ab und dann geht es ansatzlos per Muskelkraft weiter voran. Unter den Messengern gerne mit schmalen Rennradreifen und Rennlenker kombiniert, gefällt mir Komfort und Wege-Wahl-Freiheit der breiten Reifen und die sportlich komfortable Sitzposition mit Überblick.
Ich bin überzeugt: Das ist es. Ohne wochenlanges Brüten über Zeitschriften, Vergleichstests und ohne Excel-Tabellen. Am Preis knabbere ich etwas, aber wir werden uns einig (das gesparte Geld für den Kinder-Anhänger kann ja ins Bike fließen). Ich schlage zu. Spontan. So bin ich spät nachmittags unterwegs gen Heimat, ein leuchtend grünes Omnium im Kofferraum des Kombis. Auch das wohl ein Zeichen, das Rad in „Forest Green“ setzt die Reihe meiner grünen Stahlräder nach Hercules und Serotta konsequent fort.
Abends wird noch fertig montiert, und am nächsten Tag Einsatz mit Gepäck unter Realbedingungen: Morgens auf den Markt, im Boost-Modus fliegt man mühelos bergauf, steht dann entspannt am Obststand an und bedauert die frierenden Bananen. Nachmittags: Eine 20kg-Schreibmaschine wird nach Bietigheim zur Eröffnung des Lieblingsbuch-Ladens einer Freundin transportiert. Als Ladefläche habe ich alte Fahrradschläuche verwendet, die leichte Federung der Ladung ist extrem angenehm, kenne ich so schon von meinem Anhänger. Die Schreibmaschine klimpert nur leise vor sich hin, ohne in jedes Schlagloch zu fallen. So gut es morgens bergauf ging, so gut geht es weiter: In der Ebene sind 30km/h schnell erreicht, und auf den Serpentinen der Bergheimer Steige bergab stellt sich erst bei knapp 60km/h eine ganz leichte Nervosität ein, Nachteil der dicken Ballonreifen. Geil. Auf dem Rückweg macht dann 500m vor zu Hause und nach knapp 75km der Akku schlapp, bei der Topographie und der durchaus zügigen Fahrweise (ungefähr je 1/3 der Strecke in den drei Unterstützungsstufen) eine beachtliche Reichweite. Bin begeistert vom neuen Rad!
Ein Lastenrad stand ja ursprünglich gar nicht auf dem Plan, aber manchmal kommt es anders. Jetzt ist es im Fuhrpark angekommen, und der ist damit jetzt offiziell ‚LASTIG‘. Also nochmal zurück zur Rechtschreibkorrektur: Hinzufügen zum Wörterbuch.
Premiere: Omnium und Lieblingsbuch-Laden